Das Fest der Liebe

Schon als Margit klein war lief sie immer hinter ihrer Großmutter her. Zusammen mit ihren sechs Geschwistern und den Eltern wohnte Margit auf einem kleinen Bauernhof am Rande des Dorfes.

Ihre Großmutter war eine Frau, die selten Gefühle zeigte. Sie war durch zwei Kriege gegangen, hatte entbehren müssen und Spaß hatte lange Zeit keinen Platz in ihrem Leben. Wie zu der Zeit üblich, wohnte sie mit ihrem Mann, drei Kindern und den eigenen Eltern unter einem Dach.  Oft musste sie für alle da sein. Anfallende Arbeiten wurden ihr übertragen.  Nach dem Tod ihrer Eltern waren schließlich Margits Eltern nach ihrer Heirat auf den Hof gezogen. Sieben Kinder waren dazugekommen. Eins davon  Margit.  Seit ein paar Jahren war Margits Großmutter  Witwe und eigentlich war es seitdem für Margit noch schlimmer geworden. Irgendwie hatte sie nie den richtigen Weg zum Herzen ihrer Großmutter gefunden. Margit war unter ihren Geschwistern das Kind in der Mitte. Es gab drei jüngere Brüder, einen älteren Bruder und zwei ältere Schwestern. Mal waren es die Kleinen, die die Aufmerksamkeit der Großmutter bekamen und ein anderes Mal die Großen, die schon so viel mit anfassen konnten bei der täglichen Arbeit. Margit war oft traurig, aber all ihre Versuche von der Großmutter gesehen zu werden waren vergeblich.

Eines Tages, kurz vor Weihnachten, wurde die Großmutter krank. Blass lag sie in ihrem Bett. Ein Anblick, denn Margit nicht kannte. Als es der alten Frau auch nach zwei Tagen nicht besser ging, brachte man sie ins Krankenhaus, dass nur wenige Kilometer weiter in der nächsten Stadt lag. Zu Hause ging jeder seinem Alltag nach und abwechselnd fuhr jemand los, um die Großmutter zu besuchen. Margit besuchte ihre Großmutter jeden Tag. Mit dem Fahrrad fuhr sie die kurze Strecke und blieb stets eine Weile am Bett ihrer Großmutter sitzen. Oft schlief die alte Frau und Margit saß einfach nur da und hielt ihre Hand. Sie betrachtete das faltige Gesicht und fühlte so viel Liebe für diese Frau, die ihr eigentlich nicht viel gegeben hatte bislang. Auch am Heiligen Abend besuchte Margit ihre Großmutter. Wieder hielt sie deren kleine, schmale Hand. Kurz bevor Margit gehen wollte, öffnete ihre Großmutter die Augen und sah Margit eine Weile an. Ein kleines, zärtliches Lächeln trat auf ihr Gesicht. Ein Lächeln, auf das Margit so lange gewartet hatte.  Ein Lächeln, das Margit so viel bedeutete.

Kurz nach Weihnachten starb Margits Großmutter. Trotz aller Trauer war Margit glücklich. Das Fest der Liebe hatte ihr persönlich etwas ganz Besonderes geschenkt. Ein liebevolles Lächeln, das mehr wert war als alle Geschenke dieser Welt. Noch lange, wenn Margit an ihre Großmutter dachte, fühlte sie deren Hand in der ihren und sie wusste alles war gut.