Satzgeschenk

 Meine Kollegin schenkte mir gestern ein paar Sätze. Sie hatte etwas erlebt, was sie berührt hat. Sie schenkt sie mir und sagt: Mach was draus!

Es ist schon dunkel, als Klara noch einmal kurz raus geht. Nur kurz zur Garage, die sich ein paar Meter entfernt an der Straßenecke befindet. Die Straße ist gut beleuchtet und es sind fast keine Menschen mehr unterwegs.

 Gegenüber, in der alten Schule brennt noch Licht. Dort sind vor ein paar Wochen Flüchtlinge eingezogen. Klara geht zunächst etwas abwartend damit um. Menschen mit einer dunkleren Hautfarbe, mit einer anderen Mentalität, dass sorgt schon für Gesprächsstoff hier in dem kleinen Vorort von Düsseldorf.

Als die alte Schule bezogen wird entscheidet Klara sich selbst ein Bild zu machen von den Menschen aus dem anderen Land. Was sie sieht ist nichts Außergewöhnliches. Kinder, die am nahegelegen Rheinufer spielen. Männer und Frauen, die sich teils draußen und teils im Gebäude aufhalten. „Aber was sollen sie auch tun hier in dem neuen Land, in dem sie gerade erst angekommen sind“ überlegt Klara.  Klaras Nachbarin sagt, dass „die“ so laut sind, wenn „sie“ sich unterhalten. Klara denkt darüber nach und findet, dass das an der Mentalität liegt. Wie fast jeder, der schon einmal im südlichen Raum im Urlaub war, es schon einmal gehört hat und kennt. Klara beschließt, dass man das nun niemanden vorwerfen kann. Das ist einfach so.

Wie man hört gehen fast alle neuen Bewohner der Schule zum Deutschunterricht, um möglichst schnell die Sprache des gastgebenden Landes zu sprechen. Klara findet auch das gut. So richtig Kontakt hat sie nicht zu den erwachsenen Flüchtlingen, es ist eher ein verhaltenes Lächeln, das man sich gegenseitig schenkt, wenn man sich auf der Straße trifft. Klara bemerkt, wie gehemmt sie doch ist. Was soll sie auch sagen? Verstehen die Flüchtlinge sie? Beide Seiten sind unsicher. Man will ja auch nichts falsch machen. Mit den Kindern ist es einfacher. Kinder denken nicht so viel über das für und wider nach. Wo drei Jungen Fußball spielen, können noch drei mitspielen. Einfach so, ohne Grenzen. Wo Mädchen mit Kreide auf dem Gehweg malen, malen andere Mädchen  mit. Einfach so, ohne Sprache. Klara denkt, dass Kinder es doch ziemlich gut haben, so unbekümmert und unbeschwert.  

An dem Abend als Klara zu später Stunde noch kurz zur Garage geht, kommt ihr ein Mann entgegen. Es ist ein Bewohner der alten Schule. Klara kennt ihn vom sehen. Ein paar Mal sind sie sich begegnet. Meistens sind sie mit einem kurzen angedeuteten Lächeln aneinander vorbeigelaufen.

 

Heute bleibt der Mann stehen. Er strahlt Klara an und sagt leise aber deutlich: „Guten Abend“. Er schaut Klara dabei stolz an. Seine ersten deutschen Wörter. Klara, die auch stehen geblieben ist erwidert: Ihnen auch! Einen guten Abend! Eine Grenze ist gerade verschwunden. Ein Schritt aufeinander zu gemacht. Als Klara zurück in ihrer Wohnung ist blickt sie aus dem Fenster. Irgendwie hat sie diese kurze Begegnung mit dem Mann aus dem anderen Land berührt durch zwei kleine Worte: Guten Abend!