Wie jeden Tag sitzen sie da. Die beiden alten Leute. 66 Jahre sind sie schon verheiratet, eigentlich ein ganzes Leben. Sie sind miteinander verwachsen, wissen genau, was der andere denkt und tut. Eigentlich können sie ohne einander nicht sein.

Seitdem Hans Rentner ist verbringen sie fast den ganzen Tag zusammen. Feste Zeiten für bestimmte Dinge geben Ihnen Sicherheit. Frühstück um halb neun, Mittagessen um halb eins, Kaffetrinken um halb vier und Abendessen um halb sieben. Jeden zweiten Tag wird geduscht und Wäsche gewaschen immer mittwochs. Auch die Aufgaben sind verteilt. Hans ist dafür zuständig den Müll rauszubringen, streng getrennt nach Bioabfall, nach Plastik und Restmüll. Klara kocht und wäscht. Die Hausarbeit teilen sie sich.

An manchen Tagen streiten sie sich, manchmal lautstark. Wenn man sie dann hört, wundert man sich schon, dass sie es schon so lange miteinander aushalten.

In den letzten zwei Jahren ist Klara alt geworden. Anders als normal in ihrem Alter. Klara ist 89 Jahre alt, Hans 91. Klara ist krank. Zweimal ist sie im Krankenhaus. Jeweils drei Wochen muss sie dort bleiben. Drei Wochen in denen Hans täglich mit dem Bus zum Krankenhaus fährt. Jeden Tag sitzt er an Klaras Bett. Er schüttelt ihr Kissen auf, schließlich weiß nur er, wie ihr Kissen sein muss, um bequem zu sein. Er schmiert abends ihre Brote. Schließlich weiß nur er, was Klara am liebsten isst und wie groß die Stücke sein müssen, die sie gut essen kann. Hans massiert ihr die Füße und kämmt ihre Haare. Schließlich weiß nur er, wie Klara ihre Haare trägt und nur er kennt die Stellen an ihren Füßen, die besonders beachtet werden müssen.

Jeden Abend, wenn Hans nach Hause kommt sitzt er da. Irgendwie ist er nicht vollständig. Irgendwie soll Klara einfach da sein. Hans nimmt sich vor, wenn Klara zu Hause ist wird nicht mehr gestritten. Diese Streiterei um nichts und darum wer Recht hat oder nicht.

Klara und Hans halten das nicht lange durch. Auch das Streiten ist eine lieb gewordene Gewohnheit und  manchmal lachen beide heimlich, wenn sie dem anderen so richtig die Meinung gesagt haben.

Heute ist Silvester. Das siebzigste Silvester, das Hans und Klara gemeinsam verbringen. Es ist ihnen nicht mehr wichtig lange und ausgiebig zu feiern. Es ist ihnen nicht mehr wichtig mit vielen Leuten zusammen zu sein und Alkohol in Mengen zu trinken.

Hans und Klara genießen den Tag. Am Nachmittag gehen sie ein Stück spazieren und zum Kaffe um halb vier gibt es heute ein Stück Kuchen, dass Hans beim Bäcker gekauft hat. Um halb sieben ist der Tisch nett gedeckt und die frische Suppe vor dem Brot schmeckt heute besonders gut. Um sieben Uhr schauen beide „Dinner for One“, wie die letzten zwanzig Jahre auch. Den Abend verbringen beide vor dem Fernseher. Mal schläft Klara, mal Hans. Um kurz vor zwölf sind beide wach und der kleine Piccolo Sekt steht mit zwei Gläsern auf dem Tisch. Als die Uhr zwölf schlägt stoßen Hans und Klara an. Ein kurzer Kuss, eine kleine Umarmung.

Als sie dann aus dem Fenster schauen und das bunte Feuerwerk bewundern nimmt Hans Klaras Hand. Gute Vorsätze gibt es nicht, nur den einen Wunsch:

 

Das einundsiebzigste, gemeinsame Silvester.